Ich habe #Affenpocken.

Damit bin 1 von 142 laborbestätigten Fällen in Berlin.

& es wird Zeit, dass ich darüber spreche. Einerseits, weil es sehr viel Unklarheiten über Ansteckung, Verlauf & Symptome der Krankheit gibt. Andererseits, weil bereits ein 🐒🦠 #Stigma existiert. 1/
Disclaimer:

Ich kann natürlich nichts zu den anderen Fällen sagen, über deren Ansteckung oder Verlauf; ich kann nur sehr persönlich darüber erzählen, sehr subjektiv, & nach meinem eigenen Wissensstand (14.06.2022). Ich bin kein Forscher & kein Mediziner. 2/
Angefangen hat es bei mir vermutlich mit einem eher "atypischen Husten" (Quelle: Gesundheitsamt Lichtenberg), der entweder zu den neuen Symptomen der Krankheit oder zu den zufällig auftretenden, sogenannten "begleitenden Infektionskrankheit" zählt. 3/
Der erste, noch eher leichte & nicht produktive Husten begann an einem Dienstag; es war eher störend & lästig, nicht wirklich schlimm. Der Reiz lag direkt im Hals. Entsprechende Covid-Tests waren negativ; ich habe deswegen nicht weiter darüber nachgedacht. 4/
Am Donnerstagabend war der Husten bereits wesentlich schlimmer; unproduktiv, bellend. Er kam meistens in Wellen, oft so heftig, dass ich zum Teil keine Luft bekommen habe. Covid-Tests waren noch immer negativ. 5/
Ab Freitag habe ich angefangen, mich selbst als "grippekrank" zu bezeichnen. Ich war extrem schlapp, hatte Gliederschmerzen, leichtes Kopfweh, bin nicht mehr ins Büro gegangen, sondern habe von zuhause aus gearbeitet. Allerdings mit schwindender Konzentration. 6/
Gegen Freitagmittag hab ich aufgrund eines plötzlich auftretenden Juckreizes eine 1 "Pocke" entdeckt – & zwar auf der Rückseite meines Schwanzes. Diese war für mich zu diesem Zeitpunkt nicht als "Pocke" zu identifizieren.

Es handelte sich dabei um 1 kleine, kreisrunde Wunde. 7/
Sie hatte einen schmalen, weißen Rand & nässte. Mein ganzer Schwanz wirkte leicht geschwollen, rötlich, entzündet. Hier folgen in den Gastrollen eine erste Panik & absolute Verwirrung.

Wie ein vorbildlicher Millennial habe ich sofort das Internet konsultiert. 8/
Allerdings ohne großen Erfolg. Den Beschreibungen nach am ehesten die #Syphilis. (Auf das Thema #Sex komme ich übrigens später noch ausführlicher zu sprechen). Die anderen Symptome schienen allerdings in keinem Zusammenhang dazu zu stehen. Vielleicht ein fieser Stich also? 9/
Ich habe die Wunde also erstmal treudoof eingekremt & versucht, mir keine weiteren Gedanken darüber zu machen. Falls es schlimmer werden würde & ich mir eine Geschlechtskrankheit zugezogen haben sollte, hätte ich die richtigen medizinischen Ansprechpersonen. Keine Sorge also. 10/
Am selben Tag (Freitag) gegen 17 Uhr kam der Schüttelfrost; eine unerbittliche, den ganzen Körper erfassende Kälte, die mich – wortwörtlich – geschüttelt hat. Das Fieber kam abrupt & wie aus dem Nichts & stieg schnell auf +39,5° C. Dazu: heftige Kopfschmerzen. 11/
Die Kopfschmerzen wurden so schlimm, dass Schmerztabletten ab einem bestimmten Punkt absolut redundant wurden. Hinzu kamen krasse Gliederschmerzen, vor allem im Nacken.

Es brauchte noch mehrere Stunden in diesem Zustand bis ich den Juckreiz an anderen Stellen bemerkte. 12/
Bis zu meiner Diagnose (knapp eine Woche später) hatte ich felsenfest angenommen, dass es sich bei den besagten, von Juckreiz betroffenen Stellen eindeutig (!) um Pickel oder Stiche gehandelt hat.

Mittlerweile weiß ich, dass es die Pocken waren. 13/
Diese Pocken unterscheiden sich in Form & Struktur massiv von den Bildern, die ich im Internet bzw. den Medien gesehen habe & als "Nicht-Mediziner" kann ich sagen: Ohne einen Arzt wäre es mir UNMÖGLICH gewesen, diese Pusteln den #Affenpocken zuzuschreiben. 14/
Außerdem waren die Stellen absolut random & die Pocken nur vereinzelt. (Stand Freitagabend, 03.06.: 1 auf der linken Halsseite, 1 auf der rechten Schulter, 1 auf dem Schwanzschaft).

Ich habe deswegen nicht weiter darüber nachgedacht; auch, weil sie wie Stiche gejuckt haben. 15/
Ich muss die Stellen deswegen auch unterbewusst & vor allem im Fieber aufgekratzt haben, was mich anfänglich nicht weiter gestört hat (you do what you do mit Mückenstichen). Allerdings hat sich deswegen die Pocke an der Schulter in sehr kurzer Zeit stark entzündet. 16/
Ich kann deswegen jetzt schon mal klar ableiten: DON'T TOUCH THEM! Nicht kratzen, nicht drücken. Auch dann nicht, wenn man sich schwören könnte, es handele sich dabei "nur" um einen Pickel. Der Juckreiz kann dazu gehören, MUSS er aber nicht. 17/
Ich will hier ganz transparent darüber reden, also: don't get upset, wenn's jetzt explizit wird (⚠️):

Nach einem plötzlichen Paranoiaschub habe ich am selben Abend beschlossen, mich nochmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Vor allem: meinen Schwanz. /18
Der Juckreiz war unglaublich unangenehm, außerdem schien alles extrem geschwollen. Die erste, kleine, kreisrunde Wunde auf der Schaftrückseite nässte stark. Aber sie allein erklärte das Jucken nicht.

Ums kurz & schmerzlos zu machen: Ich fand eine wesentlich schlimmere Wunde. 19/
& zwar direkt unter meiner Vorhaut, am Eichelrand. Kreisrund, tief, nässend, mit einem weißen, dicken Wundrand. Es sah aus, als hätte mir jemand mit einer kleinen Schrotkugel direkt in den Schwanz geschossen.

Hier nochmal: Absoluter Schock meinerseits. 20/
Ich hatte noch am Morgen des gleichen Tages (!) geduscht & da war alles (!) in Ordnung gewesen. Ich bin für meine notorische Körperhygiene bekannt, die Entstehung dieser Wunde erschien mir daher absolut surreal & unnatürlich. What the fuck is going on? 21/
Ich hab also erneut das Internet bedient. Natürlich. Was man halt so macht im 21. Jahrhundert.

Die Ergebnisse waren eindeutig uneindeutig, die Symptome wollten nicht passen. Eine Geschlechtskrankheit – dessen war ich mir sicher. Eine fiese. #Syphilis also? 22/
Die Bilder im Netz zeigten Wunden mit der größten Übereinstimmung. Aber der Rest? Hatte ich mich mit zwei Sachen gleichzeitig angesteckt? War mein Immunsystem einfach nur aufgrund des Arbeitsstress runter & jetzt massiv überfordert? Again: What the fuck?! 23/
Über die nächsten Tage (vom 03.-06.06.) war ich in einem permanenten Schwebezustand. Das Fieber kam & ging, meistens stiegt es bis 40° C, dann fiel es wieder komplett. Was mir dabei auffiel: Das Thermometer sagte zwar FIEBER, aber ich spürte es kaum. Kein Schweiß. 24/
Was blieb: Die massiven Kopfschmerzen, die extremen Gliederschmerzen, & der absurd lästige Husten, der vor allem nachts auftrat.

Noch bis Montagabend (06.06.) war ich mir zu 100% sicher, ich hatte mir die #Syphilis eingefangen. Unangenehm, but manageable. Kann passieren. 25/
Let's be clear: Es ist völlig EGAL, wie mein Sexleben im Detail aussieht – ob ich täglich wechselnde Sexualpartner habe oder nicht – ob ich cruise gehe oder monogam lebe: Das #Affenpocken-Virus interessiert sich einen Scheißdreck für deine Sexualität & dein Geschlecht. 26/
Ein Virus ist ein Virus. Es nimmt, was es kriegen kann & geht dabei IMMER den Weg des geringsten Widerstandes.

Es ist daher auch absolut unerheblich, ob du gay bist oder nicht. Du musst einfach nur zur falschen Zeit, am falschen Ort sein. & BÄM! There you go. 27/
Ich bin am Dienstag (07.06.) unmittelbar zu meinem Hausarzt; ganz in der irrigen Hoffnung, ich bekäme einfach nur eine Penicillin-Spritze, um den Alptraum zu beenden.

Well. Ich kenne meinen Hausarzt schon seit so vielen Jahren, aber sprachlos seh ich ihn selten. 28/
Aufgrund der merkwürdigen Symptom-Melange & der Wunden am Schwanz wurde ich erstmal gründlichst auf ALLES gecheckt. Wundenabstriche, Hals- & Nasenabstriche, Blutabnahme. Verdacht auf #Syphilis? Ja, aber auch auf die #Influenza. & außerdem: #Affenpocken! 29/
Mein Hausarzt ließ mich wissen, dass er bereits einen anderen Patienten in der Praxis gehabt hatte, der ähnliche Wunden im Genitalbereich aufwies. Auch hier war der erste Verdacht: #Syphilis. Die Testergebnisse sagten dann aber eindeutig was anderes. 30/
Ich bin diesem anderen Patienten zynischerweise extrem dankbar, denn die visuelle Verwechslungsgefahr (!) mit #Syphilis scheint extrem hoch zu sein. Wäre mein Hausarzt nicht so gut & hätte nicht ALLE Eventualitäten ausschließen wollen,... Ah, well, ihr könnt's euch denken. 31/
Offiziell #Affenpocken-positiv wurde ich am Donnerstagabend (09.06.) diagnostiziert, am Freitagmorgen hat sich das Gesundheitsamt Lichtenberg telefonisch bei mir gemeldet.

Mit dem Anruf wurde ich auch offiziell in die Isolation geschickt; diese dauert bis zum 21.06. an. 32/
Meine Symptome sind mittlerweile WESENTLICH besser, das Fieber ist weg, die Kopfschmerzen auch. Die Pocken entwickeln sich mittlerweile zurück & auch der Juckreiz hat seit ein paar Tagen nachgelassen. Ich fühle mich noch immer schwach, manchmal, & sehr, sehr müde. 33/
So viel zum Verlauf meiner Erkrankung.

Jetzt zur eigentlichen Ansteckung.

Bin ich also so ein promiskuitiver Homosexueller, der von einer Sexparty zur anderen tingelt & verantwortungslos mit sich & anderen Menschen umgeht? Gebt's zu, viele fragen sich das jetzt. 34/
Ich verstehe diese Fragen, das Framing der Medien ist ja schon seit einer Weile aktiv & wir leben, #HappyPrideMonth an dieser Stelle, in einer homofeindlichen Gesellschaft – egal, was vermeintlich gebildete, "liberale" Menschen so von sich sagen. I get that. 35/
Ich bin schwul, indeed I am, & ich bin verheiratet. Die Details meines Sexlebens gehen niemanden was an, nicht an dieser Stelle zumindest. Was ich aber klar sagen kann: Ich bin der einzige nachweislich #Affenpocken-positive Mann in meinem (sexuellen) Umkreis. 36/
Yes, you read right. & now let it sink in.

Meine Sexualität bietet keine zwangsläufige (!) Korrelation zu meiner Erkrankung. Auch mein Mann ist nachweislich nicht an den #Affenpocken erkrankt. Alle sind kerngesund – & ich sorge aktiv dafür, dass das auch so bleibt. 37/
Noch immer ist sehr vieles unklar, wenn es um die Ansteckung der #Affenpocken geht. Klar ist: Direkter Körperkontakt zählt zu den höchsten Ansteckungsmöglichkeiten. Aber sie ist definitiv nicht die einzige. 38/
Dies ist auch der Hauptgrund, weshalb ich meinen Fall publik machen wollte.

Diese Krankheit ist keine sexuell übertragbare Krankheit; sie wird durch Berührungen (!) übertragen. & ja, auch eine Übertragung durch eine sogenannte "Schmierinfektion" ist möglich. 39/
Ich muss daher ALLES (!), was ich berühre – lasst es mich für wirklich JEDE PERSON klar machen: ALLES – desinfizieren. Das beginnt bei Türklinken & endet bei Sitzflächen. Es gibt keine Art der Berührung von Gegenständen, die ich selbst als gefahrlos empfinde. 40/
Das Geschirr, das ich nutze, landet direkt in der Geschirrspülmaschine, & ich nutze selbst immer DASSELBE Geschirr. Jedes Handtuch landet direkt nach Nutzung in einem gesonderten Korb, den ich gesondert wasche. Nichts, was ich anfasse, bleibt einfach so offen liegen. 41/
Ich bin restlos isoliert. Auch, weil ich nicht weiß, ob ich nicht Wunden im Hals & Rachen habe, die ich nicht spüre, welche eine Übertragung durch Aerosole doch möglich machen – aufgrund des atypischen Hustens. Ich will einfach SICHER gehen. 42/
Mir wurde von vielen Seiten – & ja, auch offiziellen Stellen – das Gefühl vermittelt, dass ich nichts von all dem hier publik machen soll. Das liegt vor allem daran, dass keine:r Interesse an einer Panikmache hat. Das kann ich verstehen. Ich gehöre auch zu diesen Menschen. 43/
Zu viele Umstände sind NICHT klar; es fehlt maßgeblich an Daten & Messwerten. Das Framing von Medien & Einzelpersonen hilft zusätzlich nicht.

Nach über zwei Jahren COVID sind die meisten verunsichert, müde, angeschlagen. Wir wollen keine andere, keine zweite Pandemie. 44/
Trotzdem schreibe ich diese Tweets in der irrigen Hoffnung, dass meine Erfahrungen anderen helfen könnten, dass all das vielleicht dazu beiträgt, den Fokus auf diese Krankheit zu erweitern, nicht bloß zu simplifizieren. 45/
Wir müssen offen & direkt darüber reden können. Wir müssen Symptome benennen & die Scham, die mit solchen Erkrankungen möglicherweise einhergeht, AKTIV bekämpfen. Wir leben in einer Zeit, in der das notwendig sein wird. Eine biased Berichterstattung hilft uns allen nicht. 46/
Ich habe es mir nicht ausgesucht, krank zu werden. Es ist daher auch scheißegal, wie & auf welche Weise ich mein Leben führe. Solange ich andre nicht wissentlich gefährde. Solange ich versuche, andere zu schützen. Solange ich ehrlich sage, was Sache ist. Der Rest ist #Stigma. 47/
& was passiert jetzt?
Nun, es werden vermutlich keine großen Spuren zurückbleiben; ich habe gute Aussichten darauf, dass mir keine oder zumindest keine schlimmen Narben zurückbleiben werden. Mein Körper wird heilen. Das sind die guten Neuigkeiten. 48/
Die Isolation, besonders von meinem Mann & meinen Freund:innen, setzt mir sehr zu, erst recht nach meiner noch gar nicht sooo lange zurückliegenden Covid-Erkrankung im Januar. Aber das schaff ich schon. Nichts, was Bücher, Filme & gute Musik nicht überbrücken können. 49/
Noch ist nicht klar, inwiefern oder wie stark eine Impfung gegen #Pocken (also: die "ausgerotteten" Menschenpocken) gegen eine Erkrankung von #Affenpocken hilft (oder das Risiko einer Erkrankung senkt), aber behaltet das schon mal auf dem Schirm. Ohne Panik. 50/
Da es eventuell eine wesentlich größere Dunkelziffer von Erkrankten gibt, die NICHT WISSEN, dass sie die #Affenpocken haben: Achtet besonders auf eure Hygiene, Leute. Besonders im Fitnessstudio! Die Viren halten sich lange auf Oberflächen & finden sich in Schweiß. 51/
Meine persönliche Empfehlung: Wer eine Person in unmittelbarer oder sogar direkter Nähe (!) hat, die an #Affenpocken erkrankt ist: Bitte fragt eure Hausärzt:innen, wann sie frühestens den #Pockenimpfstoff bekommen & lasst euch unbedingt vormerken. 52/
Bitte seid ehrlich, unvoreingenommen & geratet vor allem nicht in Panik. Ganz egal, was die Medien berichten werden. Verlasst euch nicht auf Hörensagen, sondern auf Erfahrungsberichte von Erkrankten sowie Daten & Analysen von Forscher:innen & Mediziner:innen. #FuckTheStigma 53/53
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