In den letzten Wochen wurde ich immer wieder gefragt, ob es nicht überzogen ist von modernem "Faschismus" zu sprechen in Hinblick auf das Verhalten so mancher Parteien und Kandidaten. Daher hier ein kurzer Thread darüber, was modernen Faschismus eigentlich ausmacht. (1/x)
"Digitaler Faschismus" ist der Titel eines gerade erschienenen Buchs von @maik_fielitz und @holger_marcks. Sie zitieren darin den italienischen Holocaustüberlebende Primo Levi mit folgenden Worten: „Jedes Zeitalter hat seinen eigenen Faschismus.“
Zentral sind Erzählungen des "nationalen Niedergangs", mit deren Hilfe sich faschistische Parteien als Retter inszenieren. Schon Adorno sprach von einem "unbewußten Wunsch nach Unheil". Aussagen von AfDlern, man wünsche, dass es Deutschland schlecht gehe, sind also kein Zufall.
Faschisten versprechen ihren Anhängern stets ein „Erwachen“, eine „Wiedergeburt“ der vermeintlich „degenerierten“ Nation. Hierzu bedürfe es jedoch außergewöhnlicher Anstrengungen. Mit diesem Framing durch Untergangsphantasien lassen sich auch radikale Maßnahmen rechtfertigen.
Beispiele? Erzählungen einer angeblichen „Genderverschwörung“ zur „Zerstörung“ der „klassischen“ Familie. Oder das exzessive Berichten über Verbrechen, bei denen Täter angeblich Migranten waren. Wer einschlägigen Accounts folgt, muss denken, wir stünden vor dem Bürgerkrieg.
Bereits Mussolini soll der Meinung gewesen sein, mit Ängsten lasse sich besser Politik machen, als mit Hoffnung. Ängste vor einem angeblichen „Bevölkerungsaustausch“ oder "Volkstod" sind ein Remix alter rechtsextremer und völkischer Narrative. Alter Wein in neuen Schläuchen.
Im Buch heißt es: „Die abstrakte Gefahr wird mit einer Gefahr für Leib und Leben verknüpft und erhält so eine emotionale Grundlage, auf der die Nation sich als existenziell bedroht erfahren kann – und auf der Fantasien des nationalen Erwachens blühen können.“
Erzählungen von einem angeblichen „Ausnahmezustand“ sollen eine Notwendigkeit konstruieren, das Land von „feindlichen Elementen“ zu „befreien“. Faschisten präsentieren sich als Helden. Sie allein seien angetreten, um angebliche „Probleme“ anzupacken, bei denen der Staat versagt.
Im Buch heißt es: „Indem man barbarische Feindbilder schafft, wird die eigene Barbarei gerechtfertigt.“ Moral & Recht sollen sich der faschistischen Notwendigkeits-Logik beugen. Dahinter steckt auch die sozialdarwinistische Idee, der Stärkere werde sich eben stets durchsetzen.
Die faschistische Inszenierung hat 2 Gesichter: Einerseits wird die eigene Gruppe als übermächtig dargestellt, andererseits werden Opfermythen konstruiert, die vermeintliche „Notwehr“ gegen politische Gegner rechtfertigen sollen. Man ist schwaches Opfer & starker Held zugleich.
Dass Kandidaten glauben, sie allein würden (unabhängig von Wahlergebnissen) den "wahren Volkswillen" repräsentieren, ist ein zentrales Merkmal von Faschismus. Andersdenkenden wird die Zugehörigkeit zum "homogenen Volk" kurzerhand abgesprochen bzw. sie arbeiten "gegen das Volk".
Viele denken bei Faschismus an sehr hierarchische Strukturen. Online gibt es aber eine Vielzahl von Akteuren, die für sich beanspruchen, den "Volkswillen" zu vertreten. Das ist kein Widerspruch, das ist ein Update. Eine Art dezentraler Faschismus, geeint durch gemeinsame Ideen.
Verschwörungsmythen gegen Medien dienen der Immunisierung der Anhängerschaft gegen Kritik. Faschisten wollen die absolute Deutungshoheit. Dass sie neue & eigene Medien nutzen ist dabei nicht neu. Der „Volksempfänger“ (Radio) spielte eine zentrale Rolle für die NS-Propaganda.
Alles, was der „heiligen Mission der nationalen Wiedergeburt widerspricht, muss als Lüge & Verrat diskreditiert werden“. Der Faschismus konstruiert sich so Stück für Stück seine eigene Realität. Fakten werden durch Mythen & gefühlte Realität ersetzt. Auch mittels Social Media.
Wichtig dabei ist aber: Faschisten sind auch deshalb mancherorts derart erfolgreich, weil sie es immer wieder schaffen, ihre Gruppe online größer darzustellen als sie sind. So wird Druck auf klassische Medien ausgeübt, über die jeweiligen Themen (samt Framing) zu berichten.
Faschismus ist also keineswegs ein rein historisches Phänomen. Es gibt auch modernen Faschismus. Der Kern ist der gleiche & er ist zutiefst antidemokratisch. Wenn Faschisten Meinungsfreiheit für ihre Hetze fordern, wollen sie eigentlich Widerspruch ausmerzen. Sie wollen Diktatur.
Bevor das hier auch ein Buch wird, hier noch die Empfehlung: Lest das Buch „Digitaler Faschismus“. Ich fand die Analyse wirklich gut. Auch wenn ich bei den Schlussfolgerungen zur Regulierung sozialer Netzwerke grundlegend anderer Meinung bin.
PS: Man darf gerichtsfest sagen, dass Höcke ein Faschist ist. 😘
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