"Bestrafungen, Belohnungen - wir haben bei unserem Kind alles versucht, nichts hilft. Strafen sind ihm inzwischen egal, und sogar der Belohnerplan hilft nicht."

Ein Thread über das Bestrafen von Kindern, über "Konsequenzen" und Lob, Macht und Würde.
"Strafe muss sein", sagt der Volksmund. Und: "Gebranntes Kind scheut das Feuer." Ganz selbstverständlich gehen viele Eltern davon aus, dass Bestrafungen ein unentbehrlicher Bestandteil der Erziehung sind. Das "Fernsehverbot" ist als Klassiker in den meisten Familien zu finden.
Viele Eltern berichteten mir, dass ihre Kinder auf Strafen kaum ansprechen. "Dann gucke ich eben kein Fernsehen. Dann verabrede ich mich eben nicht." Oft summieren sich dann Strafen: "Jetzt gibts noch eine Woche Fernsehverbot obendrauf." Diese Strafen sind eine Belastung für alle
Strafen in der Erziehung sind nur wenig wirksam. Sie verändern kindliches Verhalten kaum, sorgen bei den der Eltern aber für das hilflose Gefühl, nichts mehr "in der Hand zu haben", wenn das Kind die Strafen an sich abperlen lässt.

Ein gutes Ziel ist, auf Strafen zu verzichten.
Auch wenn Strafen (bzw. negative Konsequenzen) dazu führen können, ein Störverhalten vorübergehend zu unterdrücken, tun sie eines nicht: Sie bauen stattdessen kein gewünschtes positives Verhalten auf. Kinder wachsen daran nicht.

Sie wachsen an Lob und an Vorbildern.
Wenn wir über Strafen reden, sollten wir uns selbst prüfen: Wie sehr lernen wir selbst durch Strafen?

Finger hoch: Wer ist schon mal geblitzt worden? Und wer hat nach dem Bußgeld sein Fahrverhalten DAUERHAFT und ÜBERALL geändert?

Wir sehen: Effektives Strafen ist schwierig.
Eine wirksame Konsequenz muss sehr exakt, objektiv & konsequent ausgesprochen werden. Mobile Blitzer? Da pfeif ich doch drauf, die sind in zwei Wochen wieder weg. Das Fahrverhalten ändert sich nur, wenn der Blitzer fest installiert wird. In der Erziehung ist dies fast unmöglich.
Wer in der Erziehung "superobjektiv" wie ein Radar-Blitzgerät strafen möchte, gerät in die Exaktheitsfalle: Wollen wir unseren Kindern mit der Stoppuhr hinterherlaufen und Nintendozeiten mit der Stechuhr protokollieren? Vielleicht klappt es. Vielleicht fühlen wir uns lächerlich.
"Aber ich finde an meinem Kind gerade nichts zu loben, es gibt nur Ärger und Störungen!" höre ich manchmal. Hier gibt es keinen einfachen Rat. Wie lobe ich nur ein Kind, das scheinbar jede Gelegenheit nutzt, in Konflikte zu geraten und frisch aufgestellte Regeln zu beugen?
Wenn ich nicht weiß, wie ich mein Kind loben kann, hier eine Faustregel: Jedes Störverhalten endet einmal. Diesen Moment bitte loben!

Es klingt fast zu einfach, ich weiß. Die "Technik" bringt auch nicht beim ersten Mal eine Veränderung. Aber auf Dauer kann sie alles verändern.
Kind trommelt wild auf Töpfen? Geben Sie dem Kind Bescheid, dass es zu laut ist. Wenn es aufhört: Loben Sie seine Rücksicht. Das Kind lernt: Rücksicht nehmen ist toll! Fragen Sie Ihr Kind: Lobe ich deine Bemühungen ausreichend oft? Oder übersehe ich, was du alles Gutes machst?
Wenn wir über Strafen und Belohnungen reden, hat es fast den Anschein, Kinder seien Roboter, die mit genügend Anreiz "programmiert" werden können. Diese Sicht greift zu kurz. Bei "Strafen" gibt es mindestens zwei weitere Variablen.

Eine heißt "Macht".
Die andere heißt "Würde".
Wer straft, übt Macht aus. Wenn ich in der Erziehung strafe, lernt mein Kind: "Wer die Macht hat, bestimmt." Es lernt nicht Kooperation, sondern bestenfalls Unterordnung.

Dies hat meist ein Nachspiel: Der Hebel der Eltern wird mit der Zeit kürzer, der der Jugendlichen länger.
Wenn Sie in der Erziehung häufig auf Strafen zurückgreifen, machen Sie sich bewusst, dass Ihr Kind von Ihnen lernt, wie Beziehungen funktionieren.

Möchte ich, dass mein Kind von mir lernt, dass "Macht" ein wichtiger Bestandteil von Beziehungen ist?
Kinder, die auf Lob & Strafe nicht mehr reagieren, tun dies meist aus einem Grund: Sie schützen ihre eigene Würde, ihr Ehrgefühl. Wenn Sie an diesem Punkt sind, gehen Sie einen Schritt zurück. Denn wir Menschen reagieren sehr empfindlich, wenn das Ehrgefühl verletzt wird.
Wenn Ihr Kind auf stur stellt ("mir doch egal"), bleiben Sie gefasst. Es führt gerade die wichtige psychische Eigenleistung durch, das Selbstwertgefühl stabil zu halten. Bestrafen Sie das nicht. Besser: "Ich glaube, wir machen eine Streitpause, wir klären das nachher in Ruhe."
Es ist wichtig sich bewusst zu machen, dass der Stolz von Kindern bei jedem Streit mit auf dem Tisch liegt: ihr Ehrgefühl, ihre Würde und ihre Freude an Autonomie, am "Man-selbst-Sein".

Wenn wir ein Kind bestrafen, rühren wir an diesen Gefühlen. Darum funktioniert es so schlecht
Das richtige Maß an Lob & Kritik in der Erziehung ist schwer zu finden. Wir sollten uns vom Konzept "Lob"&"Strafe" lösen.

Fragen Sie sich stattdessen: Bin ich Vorbild genug? Sehe ich die Stärken meines Kindes und zeige ihm dies? Kann ich mit Kontrollverlusten gelassen umgehen?
Wenn Sie Zeit für diesen langen Thread genommen haben, haben Sie vielleicht auch etwas Lob verdient.

Ein guter Moment, um sich zu fragen: Lobe ich mich selbst genug? Darf ich noch etwas mehr stolz auf das sein, was ich geschafft habe? Wem zeige ich, dass ich stolz auf mich bin?
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