Betreff: Contact Tracing

Die Debatte um die Tracing Apps in Deutschland ist so schwierig, weil IMHO hier zwei Dinge vermischt werden, die man eigentlich trennen sollte:
1) Benachrichtigung von Menschen über einen möglichen Kontakt mit anderen Menschen, die als positiv als infiziert getestet wurden.
2) Die Gewinnung von Informationen zur Verbesserung epidemiologischer Modelle und zur Gewichtung politischer Entscheidungen in Bezug auf die Pandemie
Beide Anliegen sind berechtigt, werden aber im zentralen Modell wie von PEPP-PT vorgeschlagen gemeinsam gedacht. Das führt zu dem meiner Auffassung nach unverantwortlichen Systemdesign, das sich technisch (zumindest bei Apple) so nicht durchsetzen lassen wird.
Mit dem dezentralen Apple/Google-Konzept der "Exposure Notification", das ohnehin das einzige praktisch realisierbare System ist, lässt sich die Benachrichtigung (Punkt 1) schnell und relativ einfach umsetzen bei maximalem Schutz der Privatsphäre.
Für die Gewinnung der epidemiologischen Daten kann man aber auch andere Ansätze wählen, die mit und ohne Tracing gewonnen werden könnten. Das Stichwort lautet Differential Privacy, das verlässliche Daten liefert ohne die Privatsphäre zu verletzen. https://de.wikipedia.org/wiki/Differential_Privacy
Das kommt jetzt u.a. schon bei den Mobilty Reports von Apple https://www.apple.com/covid19/mobility und Google https://www.google.com/covid19/mobility/ zum Einsatz, die Daten liefern, wie sehr die Bewegung in bestimmten Regionen sich verändern.
Mittelfristig könnte diese Informationsgewinnung z.B. auch aus dem Contact Tracing gewonnen werden, ohne dass die konkreten Wer-mit-wem-Datenwolken entstehen sondern nur quantitative Aussagen über Nahkontaktmengen in bestimmten Regionen und Zeiten (Arbeit, Freizeit) machen.
Das sind natürlich keine kurzfristig leicht zu erreichenden Ziele und das bedarf auch weiterer Diskussionen und ich sage hier auch nicht, das muss oder sollte geschehen. Aber es wäre hilfreich, die beiden Debattenkomplexe zu trennen.
Dann könnte man zunächst mal schnell die Benachrichtungsketten ermöglichen und damit Menschen besser vor unmittelbarer Infektion schützen und würde vor allem ein international kompatibles System schaffen.
Wenn irgendwann wieder Reisen in Nah und Fern möglich sein sollen, wird sich das ohnehin nicht vermeiden lassen, dass man auch Menschen warnen kann, die nicht im selben Land wohnen. Das Virus hat keine Nationalität.
Und es ist auch kein Beinbruch hier mit einem Konzept vorerst zu scheitern. Alle Beteiligten wollen Erfolg haben beim Bekämpfen der Pandemie und setzen andere Prioritäten und das ist auch verständlich.
Wir haben schon Autobahn-Mauts, Flughäfen und andere technische Systeme finanziell verkorkst und leben trotzdem noch. Es gibt keinen Grund weiter in eine Sackgasse zu laufen nur weil man schon so viel Eintritt bezahlt hat. Shit happens. Move on. Wir brauchen eh mehr Fail Culture.
Insofern hoffe ich auf eine weitere Versachlichung der Debatte und freue mich über freundliche Debattenbeiträge :)
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