Gerade überlege ich, ob ich es mir leisten kann, den mistigen 450€Job zu kicken. Nicht weil ich zu faul zum Arbeiten bin, sondern weil ich erschöpfe. Ich hatte bereits "Burnout", meinen Blog ergänze ich jetzt. Ein Thread:⏬
#Arbeit #burnout #Sexarbeit #selfcare https://twitter.com/KF_SW_aktivism/status/1247374977105629184
Die letzten 10 Jahre meiner Berufsgeschichte dürfen jetzt mal als Beispiel zur Veranschaulichung von Ausbeutung und Selbstausbeutung herhalten.
Ich werde 40, also war ich vor 10 Jahren 30 und lebte in Chile. Dort arbeitete ich free-lance als Tourguide im Tourismus./1.
Das bedeutet lange Arbeitstage, keine Pausen, immer im Care-Modus sein, und scannen, was gruppendynamisch gerade unter Deinen Touris abgeht. Organisatorisch die Tage zu planen, alles Negative aus dem Urlaubsalltag Deiner Herde Reisender fernzuhalten. Mal Zeit für Dich: Nö!/2.
Du möchtest nicht mit Deinen Touris abends noch Essen gehen und danach mindestens bis 2 an der Hotelbar saufen, um 6.30 wieder frisch und vor dem 1. Kaffee freundlichst darauf zu achten, dass sie bei Abreise nicht ihren Geldgürtel unterm Kopfkissen vergessen. #Tipyourstaff /3.
"Dann hast Du aber den falschen Job!" und verdirbst Deinen Reisenden den Urlaub mit Deiner Miesepetrigkeit. Deine Erschöpfung nach 14-21 Tagen auf Tour möchte nämlich im Urlaub niemand sehen. Eine Saison besteht aus mind. 6 Touren a 14-21 Tagen mit 16-18h täglich. /4.
Dazwischen 2-5 Tage Pause und wieder los zum Airport die nächste Gruppe abholen. Ich habe das 4 J. gemacht. Am Anfang hab ich die Natur genossen, die Wanderungen, die interessanten Menschen, meine Kolleg*innen. Das nutzt sich ab. Endgültig Schluss war nach dieser Begebenheit: /5.
Einzelreisende Männer ohne Partner*in verknallen sich manchmal in die Tourbitch (äh, die Reiseleiterin). Meist reicht ein Nein, oder ein Witz und sie kapieren es. Auf meiner letzten Tour: Auf Feuerland möchte ein Typ aus der Gruppe mit mir auf der Promenade spazieren gehen. /6.
Ich denke ok, es ist der Anfang der Reise, die anderen sind fast alle verpartnert. Wir sind etwas entfernt, da umarmt der Typ mich ungefragt- unerlaubt und küsst mich. Ich bin völlig fassungslos und muss mich zusammenreißen um ihn nicht in den Beaglekanal zu schubsen. /7.
Ich sage ihm, dass ich das nicht will und dass er das auch nicht will und gehe danach ein bisschen allein spazieren um klar zu kommen.
Dann beschließe ich, das ganze nicht mehr zu thematisieren. Da hab ich die Rechnung aber ohne den Dude gemacht. Wir reisen weiter. /8.
Ich achte darauf nicht mit ihm allein zu sein. Paar Tage später möchte er ein Gespräch. Mir war schon aufgefallen, dass mich die Gruppe komisch behandelt. Und dass die Stimmung blöd ist. In dem Gespräch macht er mir Vorwürfe. Ich sei gefühlskalt + unprofessionell. #wtf /9.
Er hätte doch nichts falsch gemacht. Ich solle mich nicht so anstellen. Alle anderen fänden mein Verhalten auch nicht gut.
Er hatte seine Variante der Story erzählt und gegen mich gehetzt. Statt die Reise abzubrechen entschied ich mich durchzuhalten. Ein Alptraum. Am Airport:/10.
Wartet er bis alle weg sind und nimmt dann meine Hand schraubstockartig in seine und starrt in meine Augen bis es mir gelingt ihn abzuschütteln. Danach war ich durch mit Reiseleitung. Hier war es Selbstausbeutung in Verbindung mit strukturellem Sexismus und zuviel Arbeit. /11.
Danach: 2011-2015 Leitung auf einem Ponyhof in Brandenburg. Am Anfang 6.30€/h (gab noch keinen Mindestlohn) am Schluss 9,50€ (als Verantwortliche für 5-7 Kolleg*innen), 42 Wochenstd, später 35, nachdem ich zäh verhandelte. 200 Überstunden in 3-4 Monaten durchschnittlich. /12.
Das Thema, mit Pferden + Menschen arbeiten zu dürfen, mein großer Traum. Realisiert hab ich meinen Alptraum. Ich durfte ein reittherapeutisches Konzept erstellen u umsetzen, toll, das Geld reichte zwar nicht um Bafögschulden abzubezahlen, egal, dann verdiene ich mir was dazu./13.
Mit #Sexarbeit. Das kommt raus, der Arbeitgeber, die Kolleg*innen und eine Hetzerin mobben mich raus und ich steh da mit sehr viel Lernprozess und sehr wenig Geld und ganz viel Burnout.
6 Monate (2016)später mach ich mich selbständig als BDSM-Sexarbeiterin halbwegs genesen./14.
2020, die letzten 4 Jahre waren davon geprägt, dass ich zwar persönlich viel mitgemacht habe, aber auf der Arbeitsseite lief es super. Die Arbeit im @LUXDominastudio im #TheSanctum und in München an der Seite von tollen Kolleginnen, gute Worklifebalance, politische Arbeit: /15.
Wir fordern die Anerkennung von reproduktiver Arbeit & CareArbeit, prangern die Selbstausbeutung in der New Economy an. Wir sind froh dem Hamsterrad der Lohnarbeit nicht entkommen, aber doch ausgewichen zu sein. Dann kommt die #Coronakrise und das Berufsverbot für #Sexarbeit /17.
Mein Internet ist nicht gut und Cammen eh nicht so meins, daher suche ich mir das erste Mal wieder einen "normalen" Job. Zusätzlich erziehe ich am Telefon und per Mail und mache erotische Hypnose in Audiofiles. Aber: aus Angst die Kohle reicht nicht, fülle ich Regale auf. /18.
Kaue auf der Entscheidung herum, ob ich den Job kündige, nachdem es mich sowohl physisch als auch psychisch schlaucht. Hab ich das Recht, wenn doch soviele so leben und arbeiten müssen? Bin ich denn überhaupt nicht belastbar? Ich zensiere mich selbst und denke, durchhalten./19.
⏫Das ist mein Muster. Aus der Erfahrung der letzten 10 Jahre sage ich mir heute: Nö!
Ich werde mich weder selbst ausbluten, noch bringt es den vielen, vielen, die diese mistigen Arbeitsbedingungen ertragen etwas, wenn ich "es aushalte". Ich habe einen realen Eindruck bekommen.
Ihr habt bis hierher gelesen? Danke. Der Lockdown bringt uns alle an unsere Grenzen, physisch und psychisch. Materiell. Es bleibt wenig Zeit für grundlegende Überlegungen, weil wir alle an unseren individuellen Überlebensstrategien feilen. Aber nicht um jeden Preis, bitte.
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