Ein wichtiger Europahistoriker sagte auf dem letzten Historikertag in unserer Sektion zu Europäischer Geschichte (geleitet von @LevsenSonja), der (nationale) Vergleich sei keine zeitgemäße Methode mehr. Dieser Glaube ist so verbreitet wie falsch. 👇 Thread: https://twitter.com/sebastiankurz/status/1246053415031058432
Hauptkritikpunkt der Vergleichsskeptiker ist, dass der Vergleich nationale Grenzen reifiziere, sie also mit ihrem Untersuchungsgegenstand bereits festschreibe. Dabei seien die meisten modernen Phänomene aber transnationaler Natur und die Nation an sich eine Konstruktion.
Es stimmt, dass Nationen kulturelle Erfindungen des 19. Jahrhunderts sind. Das Problem ist nur, dass sie eine verdammt erfolgreiche Erfindung sind. Selbst nach über 60 Jahren Europäischer Integration wetteifern EU-Nationen (und andere) in der Krise um die beste Performance.
Transnationale und globale Herausforderungen wie ein Virus führen heute vor Augen, was Historiker°innen auch für die Zeit um 1900 beobachtet haben: Globalisierung und Transnationalisierung tun der Logik des Nationalen keinen Abbruch, sondern verstärken sie bisweilen sogar.
Konstitutive Praxis des Europäischen ist offenkundig immer noch, sich miteinander zu vergleichen. Besonders bizarr war der deutsche Vergleich mit Italien. Der Schwenk der Medien auf die Horrorbilder aus Bergamo diente nur einer Frage: "Drohen auch uns italienische Verhältnisse?"
Es wäre deshalb ein Fortschritt für die Zeitgeschichte, diese wundersame Resilienz des Nationalstaates und des Nationalen nach 1945 erklären zu können. Und solange die Zeitgenossen nicht aufhören, sich zu vergleichen, muss die Zeitgeschichte ihnen wohl auf diesen Spuren folgen.
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